F43, Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen nach dem Kapitel V (F) der ICD-10

Eine Anpassungs- bzw. Belastungsstörung entsteht immer als direkte Folge der besonderen Veränderung im Leben bzw. der akuten schweren Belastung oder des kontinuierlichen Traumas. Ohne  die Einwirkung der belastenden unangenehmen Situation wäre die psychische Störung nicht entstanden.

Eine akute Belastungsreaktion (F43.0; psychischer Schock) wird durch ein außergewöhnlich belastendes Lebensereignis hervorgerufen. Unmittelbar, d.h. sofort oder innerhalb weniger Minuten, nach  dieser außergewöhnlichen Belastung (z.B. schwerer Unfall, Naturkatastrophe, Verbrechen) folgt ein Zustand mit anfänglicher (emotionaler) Betäubung. Im weiteren Verlauf kann es zu Depression, Angst, Ärger, Verzweiflung, Schlafstörungen, Überaktivität oder Rückzug kommen. Kein Symptom ist längere Zeit vorherrschend und es ist rasch rückläufig. Bei weiterbestehender oder irreversibler Belastung klingen die Symptome meist nach 1-2 Tagen ab und sind in der Regel nach 3 Tagen nur noch minimal vorhanden.

Reagiert eine Person nach dem traumatisierenden Ereignis von außergewöhnlicher Schwere mit in sich aufdrängenden Erinnerungen an das Trauma und mit Albträumen, und/ oder leidet sie an emotionaler Gleichgültigkeit, vegetativer Übererregbarkeit und Vermeidung von Aktivitäten oder Situationen, die an das Trauma erinnern können, häufig verbunden mit Angst, Depression, Suizidgedanken, handelt sich um eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1; traumatischen Neurose). Die Reaktionen treten direkt oder verzögert (innerhalb von 6 Monaten) auf die erlebte  außergewöhnliche Belastung (Naturkatastrophe, Folter, Terrorismus) auf und kann bis zu mehreren Jahren dauern. Eine  posttraumatische Belastungsstörung (PTSB) kann in eine andauernde Persönlichkeitsveränderung übergehen („Gefahr der Chronifizierung“).

Bei einer Anpassungsstörung (F43.2; z.B. depressive Reaktion, abnorme Trauerreaktion) handelt es sich um einen Zustand von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung, die soziale Funktionen und Leistungen behindern.  Die Störung tritt innerhalb eines Monats infolge der besonderen unangenehmen Veränderung im Leben auf und dauert etwa 6 Monate lang an (außer bei einer längeren depressiven Reaktion).  Auf psychosoziale Belastung bzw. auf ein Lebensereignis reagieren Betroffenen sehr individuell. Die Symptomatik umfasst gedrückte bis depressive Stimmung, Angst, Besorgnis, Beeinträchtigung sozialer Funktionen und alltäglicher Aktivitäten sowie ein Gefühl des Nicht- Zurechtkommens und körperliche Beschwerden.

Bei einer andauernden oder bei schwer ausgeprägter depressiver Symptomatik ist unabhängig vom Auslöser eine depressive Episode (F32) zu klassifizieren.

Bei akuter Traumatisierung sind kontinuierliche Unterstützungsangebote und die Möglichkeit des Erzählens über das Erlebte sehr wichtig. Zur wesentlichen Entlastung des Betroffenen dient ein klares   Aufklärungsgespräch über mögliche Reaktionen, die zur normalen Erlebnisverarbeitung gehören (wie Schlafstörungen, Wiedererleben der traumatischen Situation). Neben der  Anerkennung der Bedeutung der Belastung geht es in einer weiterführenden psychologischen Therapie um die Verstärkung positiver Schritte des Betroffenen zu dessen Bewältigung sowie die Ermutigung zur Wiederaufnahme der gewohnten Aktivität nach einer gewissen Zeit. Bei einer posttraumatischen Belastungsstörung kann eine stationäre psychologische Behandlung mit speziellen psychotherapeutischen Behandlungsansätzen indiziert sein. Bei ausgeprägter Symptomatik ist eine zusätzliche Behandlung mithilfe psychopharmakologischer Medikation zu empfehlen; hier ist das Hinzuziehen eines Facharztes zur Beurteilung & medikamentösen Therapieplanung vonnöten. Bei erhöhtem Suizidrisiko erfolgt eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik.

 

 

Literatur:                                                                                                                                                                     

Internationale Klassifikation psychischer Störungen:  ICD-10 Kapitel V (F), klinisch-diagnostische Leitlinien/ Weltgesundheitsorganisation. Übers. & hrsg. von H. Dilling et.at.. Verlag Hans Huber, 4. durchgesehene &  ergänzte  Auflage 2000.

Psychische Störungen in der Praxis: Leitfaden zur Diagnostik & Therapie in der Primärversorgung nach dem Kap. V(F) der ICD-10. 4. vollst. überarbeitete Auflage unter Berücksichtigung der ICD-10-GM von H. Müßigbrodt et.at.. Verlag Hans Huber, Bern, 2010.